Der Mensch hat eine Eigenschaft, durch die er allen andere Lebewesen überlegen scheint – Die Sprache. Sie wird tagtäglich ganz selbstverständlich genutzt und ermöglicht uns nicht nur die mündliche, sondern seit vielen Jahrhunderten auch die schriftliche Kommunikation. Wir sind in der Lage, unsere Gedanken auf Papier festzuhalten, sei es nun am Computer oder aber auf die gute alte Methode per Stift und Zettel. Doch wie funktioniert es eigentlich, diese, in „kryptische“ Symbole, umgewandelten Informationen wieder zu degenerieren, also zu lesen?

Wie funktioniert eigentlich das Lesen?

Um einen niedergeschriebenen Text zu lesen und komplett zu erfassen, laufen in unserem Gehirn mehrere, teilweise parallel und teilweise aufeinander folgende Prozesse ab. In einem ersten Schritt erfasst unser Auge nach und nach, manchmal im Ganzen und manchmal nur partiell, die visuellen Merkmale, also die Schrift oder „Kringel“, die einen Buchstaben, ein Wort und später einen Text ausmachen. Nehmen wir beispielsweise das Wort Apfel. Sie lesen die einzelnen Buchstaben A-P-F-E-L, vielleicht nicht in der vorgeschriebenen Reihenfolge und vielleicht sogar nicht in seiner Vollständigkeit, aber zumindest soweit, dass Sie das Wort komplett „erraten“ oder erfassen können. Danach assoziieren Sie im Gehirn die Symbole mit den dazu passenden Lauten, rufen sich also ins Gedächtnis, wie das Wort, wenn Sie es sprechen, klingt. Man nennt diesen Prozess auch „stilles Lesen“. So verfahren Sie mit dem gesamten Text. Das klingt erstmal komisch, denken Sie? Warum soll man sich das Wort noch leise im Gehirn vorsagen, wenn es doch da geschrieben steht? Sprach- und Neurowissenschaftler gehen davon aus, dass weitere Informationen, wie die Bedeutung oder die grammatischen Eigenschaften eines Wortes nur über deren Phonologie, also über die Laute, erkannt werden können. Dies liegt daran, dass wir in unserem Gehirn Wörter über Konzept speichern, bei einem Apfel also, vereinfacht gesagt, das Bild eines Apfels im Gedächtnis abgelegt haben und um darauf zugreifen zu können, die Lautung des Konzepts benötigen. Symbole, wie eben Buchstaben, spielen bei der Verarbeitung und Speicherung also keine direkte Rolle und müssen damit erstmal in Material umgewandelt werden, dass unser Gehirn „lesen“ kann.

Werden alle Sprachen und Schriften gleich gelesen?

Nun ist es so, dass nicht alle Schriftsysteme gleich sind. Der einschlägigste Vergleich ist da wohl der, zwischen dem lateinischen und dem chinesischen Alphabet. Im Vergleich zum Lateinischen wird im Chinesischen viel mehr Wert auf ein einzelnes Zeichen gelegt – das Wort Apfel besteht dort beispielsweise nur aus zwei Zeichen.

In einem Experiment haben französische Wissenschaftler nun untersucht, wie diese beiden Schriftsysteme verarbeitet werden. Wie sich zeigte, gibt es zwar signifikante Unterschiede in der Umwandlung von Symbol/ Schrift in das jeweilige Konzept und die Lautung, jedoch sind der eigentliche Prozess und die benötigten Ressourcen die gleichen. Generell werden immer zwei „Pfade“, auch Nervenzellverbindungen genannt, beim Lesen in Anspruch genommen. Der eine Pfad ist für die visuelle Identifikation des Wortes, also das Erkennen der Buchstaben oder Symbole zuständig, während der andere Pfad die Bewegungen der Hand, die für die Produktion des Geschriebenen notwendig ist, imitiert und analysiert. Im Vergleich der beiden Schriftsysteme zeigte sich nun, dass jeweils ein Pfad stärker beansprucht wurde. Für das Chinesische sind eher die motorischen Informationen für die Erkennung wichtig, während im lateinischen die Informationen über die graphische Darstellung dominieren.

Es sind also viele, komplexe Prozesse von Nöten, damit Sie Texte, wie diesen hier, lesen und verstehen können. Auf Grund der Vielzahl an Aufgaben, die das Gehirn dabei zu erledigen hat, schult das Lesen eines Buches unsere geistigen Fähigkeiten ungemein, denn der ständige Signalaustausch stimuliert und trainiert unser Denkorgan. Grund genug, wieder viel mehr zu lesen!